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Ja, es wird geschehen am Ende der Tage, da wird der Berg des Hauses des Herrn festgegründet stehen an der Spitze der Berge, und er wird erhaben sein über alle Höhen, und alle Heiden werden zu ihm strömen. (Jesaja 2,2)

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Sonntag, 5. September 2010

Zinsverbote: Die Wirtschaft läuft seit je auf Pump

Ein Kaufmann, der Zinsen nimmt, verliert sein Seelenheil, sagte die Kirche früher. Die Kaufleute taten es trotzdem - und die Kirche ermöglichte es ihnen, keineswegs uneigennützig. Sie konnten sich durch Buße freikaufen.

Von Werner Plumpe

Zinsen zu nehmen war in der alten Welt verboten - so sagt es ein weit verbreitetes Vorurteil. Erst in der Moderne hätten sich Zinsen und Kredit durchgesetzt. Erst dann hätten sie den Nimbus des Unmoralischen verloren und seien zu alltäglichen wirtschaftlichen Instrumenten geworden. Damit hätte sich zugleich ein Geist der Bereicherung und der Rücksichtslosigkeit durchgesetzt.

Diese Vorstellung ist so populär, dass noch das Denken über die jüngste Finanzkrise den Geist der Bändigung der Spekulation atmete: Die Popularität von „Ethic banking“ speist sich auch aus der Vorstellung, dass der moderne Kapitalismus eine Prämie auf unmoralisches Verhalten sei. Verhielten sich die Menschen nur zurückhaltend, blieben Spekulation und Kreditwirtschaft engen Schranken unterworfen, wende sich alles zum Guten, so die Botschaft.

Kredit und Zins gibt es seit der Antike

Doch ganz so einfach ist die Lage nicht. Die ältere Welt kannte zwar die Verdammung von Wucher und Geiz: Usuria (Wucher) und Avaritia (Geiz) zählten zu den Todsünden; einem guten Christenmenschen war das risikolose Verleihen von Geld gegen Geld bei Höllenstrafe verboten. Auch die Orientierung des eigenen Handelns am schnöden Gelderwerb (Chrematistik) galt in der aristotelischen Tradition als schlecht. Aber es wäre falsch, aus den religiösen Vorschriften unvermittelt auf die wirtschaftlichen Praktiken zu schließen. Kredit und Zinsen gehören seit der Antike zu den unumgänglichen, ja notwendigen Instrumenten, ohne die wirtschaftliches Handeln ausgeschlossen gewesen wäre.

Die antiken Mäßigkeitsgebote, die hochmittelalterlichen Sündenkataloge und Bußpredigten, schließlich die frühneuzeitlichen Ge- und Verbote unterdrückten darum auch nicht das wirtschaftliche Handeln. Sie zeigen vielmehr, dass die ökonomischen Praktiken in einer Weise zunahmen, die mit den herkömmlichen Vorstellungen über richtiges Verhalten nicht mehr ohne weiteres vereinbar zu sein schienen. Die ethischen und religiösen Vorschriften sollten das Handeln wieder auf das Vertretbare zurückführen, keineswegs aber Zins- und Kreditwirtschaft völlig austrocknen. Sie reagierten mithin auf Missstände!

Wer Zins vergab, musste Buße tun

Die älteren moralischen Gebote und institutionellen Regeln unterscheiden folgerichtig auch mehr oder weniger klar zwischen sündigem Gewinnstreben und zugelassenem wirtschaftlichem Erfolg. Beanstandenswert war insbesondere ein aufwandsfreies Einkommen; hier war bei Zinsnahme der Wuchervorwurf schnell zur Hand. Risikobehaftetes Handeln durfte aber von wirtschaftlichem Erfolg gekrönt sein. Da die Unterscheidung zwischen Wucher und gerechtfertigtem Gewinn nicht immer leicht zu ziehen war, blieb wirtschaftliches Handeln in gewisser Weise unter Generalverdacht: Der Kaufmann stand stets in Gefahr, sein Seelenheil zu verlieren.

Da aber auch die mittelalterliche Welt auf den Kaufmann angewiesen war, entwickelte die Kirche (keineswegs uneigennützig) Bußpraktiken, die es ihm ermöglichen sollten, im Zweifelsfall doch des Heils teilhaftig zu werden. Das Fegefeuer wurde zu einer Institution der Reinigung; die durch reiche Gaben ermöglichte Fürbitte für die Seele des Kaufmannes mochte zusätzlich helfen (Jacques LeGoff).
Der gerechte Preis ist der, der sich von allein einstellt

Die weitere Zunahme der Geld- und Kreditwirtschaft, insbesondere aber die europaweite Inflation und Teuerung infolge des Zustroms amerikanischen Edelmetalls seit dem 16. Jahrhundert sprengte schließlich den Rahmen der Vorschriften; schließlich waren es vor allem Kirche und Obrigkeiten, die durch zum Teil hemmungslose Kreditaufnahme die eigenen Vorschriften ad absurdum führten und - im Ergebnis - aus Kaufleuten und jüdischen Geldverleihern mächtige Privatbankiers entstehen ließen.

Die Preisbildung auf den Güter- und Geldmärkten ließ sich nicht mehr ethisch einfach regulieren, nicht zuletzt, weil die Preisbildung selbst kaum transparent war. Gleichwohl blieb die Frage der Regulierung relevant. Und schon die spanischen Spätscholastiker, namentlich der Theologe und „Ökonom“ Luis Molina, fanden bereits im 16. Jahrhundert eine geradezu grundstürzende Antwort, indem sie bei der Preisregulierung an die Stelle der nach göttlichem Gebot handelnden Obrigkeit den freien Markt setzten: Der gerechte Preis war hiernach jener Preis, der sich auf freien Märkten von selbst einstellte. Sündig war nurmehr jenes Verhalten, das das Funktionieren des freien Marktes aus Eigeninteresse in Frage stellte. Das war in der Tat revolutionär!
Regulierung der Märkte von oben wurd in Frage gestellt

Das Verbot des aufwandsfreien Zinses war damit zwar kirchenrechtlich nicht vom Tisch, aber die Vorstellung, dass Preise obrigkeitlich zu regulieren seien, war zutiefst erschüttert, zumal sich die zahlreichen einschlägigen Versuche von Kleider-, Speise- und Konsumordnungen sowie Preisfixierungen als notorisch erfolglos erwiesen. Im 18. Jahrhundert wurde schließlich die gesamte obrigkeitliche Regulierung der Märkte als ineffizient in Frage gestellt.

Die Physiokraten und später Adam Smith hatten mit ihrer Kritik an den Praktiken der europäischen Obrigkeiten auch deshalb so großen Erfolg, weil sie die ebenso aufwendige wie ineffiziente Regulierung der Märkte durch die obrigkeitliche Bürokratie nicht einfach nur streichen wollten. Stattdessen führten sie mit dem freien Markt eine gleichsam spontane Lösung dafür ein, wie wirtschaftliches Handeln ethisch verantwortbar werden konnte: Freie Märkte, Konkurrenz und freies Spiel von Angebot und Nachfrage bewirkten hiernach wie „durch eine unsichtbare Hand“ eine auch ethisch zufriedenstellende Lösung wirtschaftlichen Handelns.
Neue Aufgaben für den Staat

Der Staat war damit keineswegs grundsätzlich aus dem Spiel, nur war nun seine Aufgabe anders definiert: Er hatte, wie es der deutsche Ökonom Georg Sartorius in seiner Kritik des radikal-liberalen Physiokraten Johann August Schlettwein scharfsinnig erkannte, seine Aufgabe vor allem in der Garantie der Marktfunktion, die durch eigeninteressiertes Handeln stets gefährdet ist. Praktisch ermöglichten diese semantischen Verschiebungen, dass etwa mit den Reformgesetzen zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Preußen ein Großteil der wirtschaftlichen Aktivitäten aus obrigkeitlicher Bindung freigegeben wurde.

Gegenüber einer Ausdehnung der Finanzwirtschaft war man freilich skeptisch, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil Preußen nach 1815 schwer unter der aufgelaufenen Staatsschuld zu tragen hatte. Aktienbanken jedenfalls, also die im 19. Jahrhundert nach und nach aufkommenden neuen Instrumente der Kreditbeschaffung, blieben in Preußen bis 1870 verboten. Und auch die Wuchergesetzgebung sollte noch lange unmittelbar in das Bankgeschäft eingreifen.

Der Autor ist Historiker an der Frankfurter Goethe-Universität.

Text: F.A.S.
Bildmaterial: Archiv

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